Überwältigendes Interesse an öffentlicher Führung über den jüdischen Friedhof Celle durch die Hebräisch-AG des Gymnasiums Ernestinum am „Tag der Deutschen Einheit“
Rund 100 interessierte Besucher sind am Tag der deutschen Einheit der Einladung des Gymnasiums Ernestinum gefolgt und haben die seltene Gelegenheit zu einer öffentlichen Führung über den jüdischen Friedhof in Celle genutzt, darunter auch einige Mitglieder von Stadtrat und Kreistag sowie Bürgermeisterin Iris Fiss in Vertretung des Oberbürgermeisters, die in ihrem Grußwort ihre Wertschätzung für diese außergewöhnliche Initiative des Ernestinums artikulierte.
Nach einer Begrüßung durch den Schulleiter des Ernestinums Johannes Habekost, der sich von der unerwartet großen Resonanz der Einladung überwältigt zeigte, gab der Hebräisch-Lehrer des Ernestinums, Pfarrer im Ruhestand Dr. Dr. Friedrich Dobberahn, eine Einführung zur Geschichte des jüdischen Friedhofs in Celle (Foto). Im Anschluss wurden die Besucher von den Schülerinnen und Schülern detailliert und fachkundig über die religiösen, historischen, kultur- und kunstgeschichtlichen Merkmale einzelner Grabsteine informiert. Die Mitglieder des Hebräisch-Wahlkurses hatten den Rundgang über den jüdischen Friedhof unter Anleitung ihres Hebräisch-Lehrers zuvor im Unterricht erarbeitet und in einem ersten Durchgang am 30.9.2022 mit einerFührung für Oberstufenkurse des Ernestinums erprobt.
Der Jüdische Friedhof an der Straße „Am Berge“ in Celle besteht seit 1692, gehört heute dem Landesverband jüdischer Gemeinden in Niedersachsen und wird von der Stadt Celle unterhalten. Die erste Beisetzung fand 1705 statt; zuletzt wurden 1945-1953 sieben Häftlinge aus dem ehemaligen KZ Bergen- Belsen dort bestattet.
Insgesamt befinden sich auf einem Areal von ca. 2000 qm 298 Grablagen, deren Stelen mit ihren hebräischen Inschriften und ihrem bildlichen Grabschmuck aus dem 18., 19. und 20. Jahrhundert höchst interessante Informationen über die Ansiedlung, Geschichte und Begräbniskultur der hiesigen jüdischen Gemeinde im Wandel der Zeiten enthalten.
Das Gymnasium Ernestinum bietet als eines von sehr wenigen Gymnasien in Niedersachsen Hebräisch als Wahlsprache ab Jahrgang 11 an. Innerhalb von drei Jahren erwerben die Schülerinnen und Schüler die Fähigkeit, die Texte des Alten Testaments aus dem hebräischen Original ins Deutsche zu übersetzen, und erhalten zusammen mit ihrem Abitur auch das „Hebraicum“. Mit dieser Qualifikation haben sie eine zentrale Grundlage und einen erheblichen Startvorteil für das Studium der semitisch-arabischen Kulturen und der Theologie.
Zu Beginn der Führung hob Dr. Dr. Dobberahn die Bedeutung des Grabsteins von Ribka Rosenwasser für die Holocaust-Forschung hervor, die zu den Überlebenden des ehemaligen KZs Bergen-Belsen gehörte und zeitgleich mit Anne Frank im Lager war.
Mit der Verlesung des Qaddischs, des Friedensgebets für die Verstorbenen, auf Hebräisch und Deutsch schloss Dobberahn die fast zweistündige Führung, die trotz durchwachsenen Wetters bis zum Ende gut besucht war.
In Anbetracht von rechtsextremen Youtubern, von ihnen angestachelten Jugendlichen und von Vorfällen auf dem Gelände in Bergen-Belsen (die Zeitungen des Celler Landkreises berichteten darüber am 4.1.2020), solle die Veranstaltung des Ernestinums auch ein notwendiges Zeichen gegen wachsenden Antisemitismus in unserer Gesellschaft sein, so Dobberahn abschließend.
Wegen des hohen Interesses und eingegangener Nachfragen ist eine Wiederholung der öffentlichen Führung im kommenden Frühjahr beabsichtigt, zumal der Landesverband jüdischer Gemeinden dem Gymnasium Ernestinum für den unkomplizierteren Zugang einen zusätzlichen Friedhofsschlüssel zur Verwahrung anvertraut hat.
(Text: Dr. Dr. Friedrich Dobberahn, Maria Meynecke, Johannes Habekost)